Wort des Tages – Der römische Hauptmann

Wort des Tages – Der römische Hauptmann

Als der Hauptmann, der Jesus gegenüber stand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn. (Mk 15, 39)

Ein römischer Hauptmann, der mit den Glaubensstreitigkeiten der Juden, dem Konflikt zwischen Jesus und den Schriftgelehrten   überhaupt nichts zu tun hat, einer, der – was den Glauben betrifft – nur von Ferne auf das Geschehen blickt, erkennt plötzlich, dass Jesus Gottes Sohn ist. Als Fernstehender ist er objektiver und in seinem Urteil weniger befangen als jene, die die Worte und Taten Jesu als Gotteslästerung auffassen, vielleicht aber auch als jene, die ihm nur wegen seiner Wunder und Heilungen hinterher laufen. Sein Blick ist nicht eingeschränkt durch das Bild, das er sich von Jesus gemacht hat oder durch das, was andere von ihm behaupten.

Der römische Hauptmann ist nicht absichtlich am Ort der Kreuzigung, aber auch nicht rein zufällig, sondern er erfüllt dort seine Pflicht als Soldat. Als Soldat folgt er dem, was das römische Recht ihm vorschreibt. Alles was er in seinem Soldatenleben gesehen und erlebt hat, hat ihn nicht kalt und stumpf gemacht, im Gegenteil, in ihm ist die Sehnsucht nach der Wahrheit lebendig. Wer ehrlich nach der Wahrheit sucht, dem wird Gott sie nicht verschließen. Schon früher haben auch Heiden die Zuwendung Jesu erfahren, weil sie ihr Herz geöffnet haben und zum Glauben kamen.  

Dem Hauptmann geht die Wahrheit über Jesus in dessen Sterbestunde auf. Damit hat er sicher nicht gerechnet. Die Art wie Jesus gestorben ist, führt ihn zu der Erkenntnis, dass Jesus  Gottes Sohn ist. Als Soldat hat er schon unzählige Menschen sterben sehen. Er kennt das Gesicht des Todes und weiß, dass sich im Sterben nichts mehr verbergen lässt.  Im Tod fallen alle Masken. Und bei Jesus sieht er, dass so kein Mensch stirbt.

Aus diesem Grund spielt übrigens bei jeder Selig- und Heiligsprechung die Dokumentation der Todesstunde des Heiligen eine gewichtige Rolle. Egal ob von Krankheit gezeichnet oder als Märtyrer, im Tod muss sich die Liebe bewähren, wie es Jesus am Kreuz vorgelebt hat. So heißt es auch im ersten Ca non der heiligen Messe von den Heiligen „Blicke auf ihre heiliges Leben und Sterben (…)“ Gerade dieses Sterben des „ganz Heiligen“, des Heilands hat das Herz des römischen Hauptmanns angerührt. Noch nie zuvor hat er einen Menschen auf diese Weise sterben sehen. Entblößt, gedemütigt, zu Tode ermattet und betrübt, geschunden und verspottet – so hing der Heiland am Kreuz. Und doch war er nicht seiner Würde beraubt. Nichts muss Jesus in seiner Sterbestunde zurücknehmen, nichts bereuen – er war und ist durch und durch wahrhaftig.

Der Hauptmann hat auf Golgotha nichts anderes, nicht mehr oder weniger erlebt, gesehen und gehört als die anderen Soldaten und Schaulustigen und doch hat sich sein Leben plötzlich verändert. Er erfährt, dass der Kreuzestod Christi mit seinem eigenen Leben zu tun hat. Mit jedem Blick, jedem Wort und vor allem mit seinem Sterben hat Jesus jeden Menschen ganz persönlich gemeint. Der römische Hauptmann hat dieses Liebesangebot Gottes angenommen und sofort die Konsequenzen daraus gezogen: er hat Jesus als Sohn Gottes bekannt.

Als Johannes Paul II. schwer krank war und die Öffentlichkeit an seinem Leiden und Sterben Anteil nahm, haben viele Menschen, ja sogar „Gläubige“ daran Anstoß genommen und z. B. gemeint, der Papst solle doch endlich zurücktreten. Es sei nicht zumutbar, einen so schwer leidenden Menschen immer zu sehen und als Chef zu haben.

Der Journalist Günther Nenning, der sich selbst einmal als treuen Fernstehenden bezeichnete, hat diese Bedeutung des Sterbens tiefer erkannt und sinngemäß geschrieben. Warum soll der Stellvertreter Christi auf Erden nicht auch wie sein Meister öffentlich Sterben. Und Johannes Paul II. hat durch sein heiliges Sterben Zeugnis gegeben von der Liebe Gottes, von der Nachfolge Christi und letztlich auch von der Wahrheit, die im Angesicht des Todes unverfälscht zum Ausdruck kommt. Durch sein Sterben sind sicher  viele aufrechte Fernstehende, wie dieser römische Hauptmann, zum Glauben gekommen.