Wort des Tages – Jesus, bei uns in Nazareth
Herr, bleibe bei uns!!!
Liebe Gläubige! Liebe Menschen guten Willens!
Ich möchte heute ein paar Gedanken äußern zum heutigen Evangelium (Lk 4,21-30). Es ist in einem doppelten Sinn heutig, es ist für den heutigen Tag bestimmt – und – das, was im Evangelium geschieht, das geschieht auch heute, jetzt, mitten unter uns! Deshalb habe ich die Überschrift gewählt „Jesus, bei uns in Nazareth!“
Im Evangelium haben wir letzten Sonntag gehört, dass Jesus nach Nazareth kam, in den Ort, wo er aufgewachsen war, dort in die Synagoge ging und aus dem Buch Jesaja vorlas. Bei der Stelle, wo es heißt: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; (…) denn er hat mich gesandt, damit ich den Armen ein gute Nachrichtig bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“, sagte Jesus dann, wie wir auch im heutigen Evangelium gehört haben: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Die größte Chance wird von den Nazarenern verwirkt
Was ist nun geschehen? Die Nazarener haben die größte Chance ihres Lebens vertan, ja die größte Chance überhaupt ganz einfach verwirkt.
Sie haben von Jesus gehört, dass er Wunder vollbracht hat, große Zeichen gesetzt hat, dass er mit großer Vollmacht das Reich Gottes verkündet, dass er viele Menschen geheilt und Dämonen ausgetrieben hat. Und jetzt ist er, den sie von Kindheit an kennen, mitten unter ihnen und sie hören nun, dass er der ist, von dem der Prophet Jesaja schon geschrieben hat, der die frohe Botschaft bringt, den Gefangenen Entlassung, den Blinden das Licht und den Zerschlagenen Freiheit.
Die Menschen spenden ihm Beifall, sie staunen, und dann passiert etwas Seltsames oder Tragisches: Die Menschen sagen: Ist das nicht der Sohn Josefs? So, als wollten sie sagen: Den kennen wir doch, was will der uns schon sagen. Jesus hört das, er merkt, wie sie denken und sagte dann, dass der Prophet in seiner Heimat nichts gilt, er verwiest auf den Propheten Elia und Elischa, die in Israel Ablehnung erfuhren. Als Jesus ganz deutlich wird, geraten die Menschen in Wut, springen auf, treiben Jesus hinaus und wollen ihn über den Abhang hinabstürzen. Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.
Die Ablehnung Jesu in Nazareth
Was führte du diesem Handeln, zu diesem Umschwung bei den Leuten in Nazareth? War es der Stolz? Das Unvermögen, zu verstehen? Vielleicht die Angst, Jesus könnte jemandem etwas von seiner Dominanz wegnehmen? Jesus könnte in der Dorfhierarchie, wo einige dominieren und andere nicht aufkommen lassen, etwas durcheinanderbringen. Oder war es einfach die Angst, aus dem Gewohnten herauszutreten. War es eine Verhärtung, eine Verstocktheit, eine geistige Blindheit, Dummheit oder eine Art von Argwohn?
Ist es nicht so, dass es – auch heute – viel schwieriger erscheint, etwas Wertvolles, Edles, Hilfreiches an den Mann zu bringen, als irgendetwas Banales, Marktschreierisches oder eben auch Böses?
Wie oft meinen es Eltern gut und geben etwas weiter, aber sie machen die Erfahrung, dass Kinder nicht hinhören. Wenn etwas von zu Hause, von den eigenen Eltern kommt, dann vermuten sie nicht einmal, dass es selbstverständlich gut gemeint ist. Geht es uns nicht in der Kirche heute oft so, dass ein gewisser Argwohn verbreitet ist? Viele Menschen haben eine Art innere Ablehnung programmiert, sie erwarten gar nicht, dass da etwas Gutes oder Hilfreiches kommen könnte. Wenn der Pfarrer etwas sagt, dann schalten sie schon um, bevor er etwas ausgesprochen hat. Sie wehren sich am meisten gegen die Wahrheit, wenn es um ihr Seelenheil geht, fast wie manche Kranke, die sich gegen den Arzt auflehnen.
Die Ablehnung Jesu hat für die Nazarener drastische Folgen. Jesus wirkt dort keine Wunder, kaum Heilungen. Die Nazarener bleiben in ihrem dörflichen Mief, in gegenseitigen Rivalitäten, im Neid, im dörflichen Tratsch. Sie blieben, wie sie sind, die erfahren nicht die frohmachende Botschaft, sie erfahren nicht die befreiende Wirkung der Gegenwart Jesu, sie nehmen nicht das wahre Licht auf, sie bleiben in der Finsternis. Und – gut 30 Jahre später – kommen die Römer und machen Schluss mit allem, das ganze Volk wird – wie Jesus vorhergesagt hat – vertrieben.
Das Phänomen Nazareth heute
Das Phänomen Nazareth, liebe Gläubige, wiederholt sich immer wieder, auch heute. Schon im Alten Testament haben die Propheten Ablehnung erfahren, Jesus wurde abgelehnt und im Laufe der Kirchengeschichte haben viele Heilige dieselbe Erfahrung gemacht. Die Kirche an sich ist in der Nachfolge Jesu eben ein Zeichen des Widerspruchs. Wenn die Kirche oder ihre Vertreter keinen Widerspruch mehr erfahren, dann fehlt etwas. Der Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher (1941 – 1969) ist einmal bei einer Visitation einem Pfarrer begegnet, der ihn mit den Worten begrüßt hat: „Exzellenz, bei mir ist alles in Ordnung, ich habe keine Feinde.“ Worauf der Erzbischof antwortete: „Dann sind sie ein schlechter Pfarrer!“
Könnten wir nicht – ganz aktuell – die Frage stellen: Wiederholt sich Nazareth oder die Folgen dieses Phänomens nicht gerade heute auch bei uns?
Gegenwärtig haben sich die zeitgeistigen Medien auf den Altpapst Benedikt XVI. eingeschossen. Eine regelrechte Kampagne wurde entfacht, man wirft ihm auf Grund von Vermutungen vor, vor über 40 Jahren etwas vertuscht zu haben in Zusammenhang mit Missbrauchsfällen. Aus bloßen Vermutungen macht man über 40 Jahre später einfach Urteile, die weder beweisbar noch stichhältig sind. Die Vorwürfe wurden losgetreten in seiner eigenen Heimat, in Bayern, in der Diözese München, basierend auf einer Untersuchung, die die Erzdiözese München in Auftrag gegeben und bezahlt hat. Man könnte zu dieser Untersuchung manche kritischen Fragen stellen, aber dazu ist hier nicht der Ort. Vielleicht nur eine Anmerkung: Der sehr bekannte Psychiater Reinhard Haller, der vor nicht allzu langer Zeit auch bei uns in Zell einen interessanten Vortrag hielt und ein sehr lesenswertes Buch über den Narzissmus geschrieben hat, hat jüngst in diesem Zusammenhang wieder auf eine Untersuchung hingewiesen, die besagt, dass bei den Missbrauchsfällen 99,7 Prozent nicht aus dem kirchlichen Raum stammen. Das heißt die kirchlichen Missbrauchsfälle betragen drei Promille, 0,3 Prozent. Wenn man jedoch die Medien hört und auch kirchliche Äußerungen, dann gewinnt man hingegen den Eindruck, der Missbrauch sei ein vorwiegend kirchliches Phänomen.
Das Prophetische an Papst Benedikt
Vielleicht hängt die Kritik an Papst Benedikt mit einer besonderen Eigenschaft von ihm zusammen, nämlich der prophetischen Gabe. Josef Ratzinger war als junger Theologe sehr populär. Er war z. B. bei den Salzburger Hochschulwochen Stargast, er war als Konzilsberater bei Kardinal Frings sehr bekannt und hat u. a. damals in Rom einen Vortrag vor deutschen Bischöfen gehalten. Bald jedoch kam er ins Visier der Presse, denn er war ein Prophet. Als die unter anderem marxistisch inspirierte 68-er Revolution über Europa hereinbrach und damit auch die sexuelle Revolution, die teilweise in die Kirche überzuschwappen drohte, da war Joseph Ratzinger konservativ, weitsichtig und eben prophetisch, weil er diese Bewegung durchschaute und den blinden Fortschrittsglaube ablehnte. Als er dann als Präfekt der Glaubenskongregation die marxistische Form der sogenannten Befreiungstheologie enttarnte und innerhalb der Kirche abwand, zog er sich den Hass vieler moderner Theologen zu. Als die Missbrauchsfrage mit großer Wucht auftrat, spielte er eine zentrale Rolle als Hardliner. Er trat entschieden für Aufklärung, klare Richtlinien und auch Konsequenzen ein. Unter ihm wurden fast 600 Priester deswegen in den Laienstand versetzt.
Warum versucht man jetzt mit intellektuell unredlichen Mitteln, ihm gerade auf dem Gebiet, wo er sich verdienstvoll profiliert hat, etwas anzuhängen? Abgesehen davon, dass es beschämend ist, wie Journalisten, Möchtegerntheologen und zeitgeistige Mitläufer mit einem 94-Jährigen umgehen. Warum diese grausame Brutalität, warum dieser Hass, diese Unbarmherzigkeit?
Ich habe dazu eine Theorie: Benedikt wird angegriffen, weil er als Theologe prophetisch genau das vorausgesehen hat, was jetzt geschieht. Papst Benedikt hat bei seiner berühmten Rede beim Konklave 2005 von der Diktatur des Relativismus gesprochen. Damit hat er genau das gesehen, worin wir heute hineinschlittern. Die Angriffe auf ihn kommen wohl vor allem von denen, die gegenwärtig Unrecht setzen, immer mehr diktatorische Gesetze beschließen, fördern, durchführen oder eben nicht verhindern. Sie kommt auch von jenen kirchlichen Kreisen, die gegenwärtig diesen verhängnisvollen Weg unkritisch mitvollziehen und den kirchlichen Niedergang betreiben, den Benedikt schon in den 50-er Jahren vorausgesehen hat. Der Prophet sieht das Übel in der Gegenwart und steht dagegen auf, warnt davor und versucht andere davor zu schützen. Der Mietling oder Mitläufer ist blind und taub für das Unrecht, das um ihn herum geschieht, sieht jedoch die Verfehlungen anderer in der Vergangenheit übergroß. Würden heutige Politiker und Bischöfe die Rede von Papst Benedikt vor dem Deutschen Bundestag vom 22. September 2011 (184. Tauftag des seligen Engelbert) ernsthaft bedenken, müssten sie aufwachen und zur Umkehr schreiten oder aufrufen.
Sind wir auf dem Weg der Nazarener?
Kehren wir zurück zum heutigen Evangelium. Da heißt es am Schluss: „Er (Jesus) aber schritt mitten durch sie hindurch und ging weg.“ Sind wir nicht in der Gefahr, das Schicksal der Nazarener zu erleiden? Könnte es nicht sein, dass Jesus durch uns hindurchschreitet und weg-geht. Dass er weggeht aus Österreich, aus Europa aus der Kirche Salzburgs oder Münchens?
Wenn Jesus der ist, der die frohe Botschaft bringt, der Gefangene freisetzt, die Zerschlagenen in Freiheit setzt und das Licht bringt, dann müssen wir uns doch fragen, ob er noch da ist. Oder ist der Herr schon weggegangen. Wo ist denn unsere Freude am Glauben, rutschen wir nicht hinein in Spaltung, Trauer, Verzweiflung etc.? Wo ist die wahre Freiheit der Kinder Gottes? Reiten wir nicht immer tiefer hinein in Zwänge? Wo ist das Licht heute? Sind wir nicht längst in Verwirrung, Angst und Unsicherheit gelandet? Ist nicht die tiefste Ursache für das, was wir heute erleben, der Verlust Gottes, dass wir Jesus nicht mehr wirklich in unsere Leben hereingelassen haben?
Genau wie damals in Nazareth stellt sich heute die Frage für uns persönlich: Nehmen wir Jesus auf, nehmen wir seine Worte an, lassen wir uns von ihm beschenken, mit der Frohbotschaft, mit einer wahren Freiheit der Kinder Gottes und mit dem Licht des Glaubens? Die Nazarener habe die Chance vertan, wir haben noch die Möglichkeit der Umkehr. Noch leben wir in einer Zeit der Gnade.
Ich denke mir oft: Wie muss es Jesus ergangen sein, als er gerade in seiner Heimatstadt abgelehnt wurde. Wir wissen, was er in Jerusalem empfunden hat, er hat über Jerusalem geweint, weil Jerusalem die Stunde der Gnade nicht erkannt hat. So wird es Papst Benedikt jetzt ergehen. Jesus ist dann den Weg des Kreuzes gegangen, um alle, auch die, die ihn ablehnten, an sich zu ziehen. Papst Benedikt wird nun diese Verleumdungen vor allem aus seiner Heimat als Kreuz tragen. Wir sollen es ihm gleich tun, uns im Gebet und in der Kreuzesnachfolge mit ihm vereinen.
Feiern wir jetzt die Heilige Messe als Kreuzesopfer. Bitten wir den Herrn mit den Worten der Emmausjünger: „Herr, bleibe bei uns, denn es wird Abend werden“ (im Abendland). Herr, beschenke uns neu mit der frohmachenden Botschaft, mit deiner Freiheit und deinem Licht. Schenke uns die Gnadengabe der Liebe, die sich freut an der Wahrheit, die alles glaubt, hofft, allem standhält und niemals aufhört. Amen