Fastenhirtenbrief

Fastenhirtenbrief

„Bedenke Mensch …“ – eine Fastenbesinnung

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Fastenzeit beginnt mit der Auflegung des Aschen-kreuzes.  Asche  wird  auf  unser  Haupt  gestreut,  dabei hören  wir  die  mahnenden  Worte: „Bedenke  Mensch, dass  du  Staub  bist  und  wieder  zu  Staub  zurückkehren wirst.“   Eine   alljährliche   liturgische   Handlung.   Wie kommen  diese  Worte  jedoch  bei  uns  an?  Das  Zeichen der  Asche  erinnert  an  eine  Wirklichkeit  des  menschlichen  Lebens,  die  Sterblichkeit.  Der  Tod  begleitet  uns fast täglich, wenn wir etwa davon in Nachrichten hören, ihn  in  der  Mitwelt  erleben  oder  wenn  wir  den  Tod  als Sterben eines geliebten Menschen fürchterlich erleiden. In den meisten Fällen sind dies alltägliche Erfahrungen, die  jedoch  –  unmittelbar  betroffen  –  zu  schwer  ertragbaren Widerfahrnissen  werden  können.  Dazu  ein  sehr berührendes Bespiel: Eine Mitarbeiterin berichtete von der Reaktion ihres Neffen, nachdem er zum ersten Mal die eigene Sterblichkeit  realisiert  hatte.  Er  war so er-schüttert, dass er zu weinen begann und sich  durch nichts trösten lassen wollte.  Mir kam beim Erzählen spontan der Einfall: „In diesem Kind hat Gott geweint“. Denn: „Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden“ (Weish 1,13).

Sterben: der letzte ureigene Akt des Lebens

Die  Fastenzeit will uns im Lichte des Glaubens die Endlichkeit irdischen  Lebens je neu bewusst werden lassen. Die Wahrheit, dass wir uns gegeben  sindund nicht selber geben können, dass uns nur begrenzte Zeit gegeben ist, diese Wahrheit verdrängen wir allzu leicht. Das Ende scheint uns immer fern, obwohl das Sterben dem Leben nicht grundsätzlich fremd sein kann,  denn seit jeher sterben Menschen. Bischof Kapellari hat vor einigen Jahren ein Buch über Sterbebilder geschrieben unter dem Titel „Und  dann der Tod …“. Darin beschreibt er feinfühlig letzte Worte, Gesten  oder  Äußerungen  von  Sterbenden.  Der inzwischen heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. hauchte ein letztes „Amen“ – so sei es – bevor er starb. Ich habe Kardinal Stanisław Dziwisz, seinem damaligen Sekretär, geschrieben, ob dieses „Amen“ wirklich als letztes Wort so geäußert wurde. Er bestätigte es.  Ein  ganz  anderes Sterbebild zeigt uns Kapellari im gewaltsamen Tod vom römischen Herrscher Gaius Julius Caesar. Der sterbende Imperator, von  vielen Dolchstößen getroffen, verhüllte noch mit letzter Kraft sein Haupt  und seine Füße mit der Toga, um so sich selbst, dem Sterbenden, jene  Würde zu geben, die ihm grausam verweigert wurde. Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen wollen, dem Sterbenden gebührt eine eigene, unantastbare Würde.

Wer immer so ein Sterben erlebt hat, weiß, da ist oft jedes Wort zu viel, zu laut, und Handlungen sind unangemessen. Ehrfurcht, Trauer, Einsamkeit  bestimmen die Gefühlswelt. Eine inzigartiger Mensch hat uns da verlassen, in seiner Einzigartigkeit nicht ersetzbar. Sterben –  ein  letzter  Akt.  Wie oft  denke ich an und schaue auf das Ende meiner Eltern. An ihrem Grab danke ich dafür, wie sie ihr Leben zu Ende gebracht haben, und bitte, dass auch ich mein Leben so zu Ende bringen kann. Meine Eltern  waren gläubig und sind so gestorben, wie sie gelebt haben. Sie glaubten an den, der sein Leben hingegeben hat, „als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45; Mt 20,28), der von sich gesagt hat, „ich bin die  Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn  er stirbt“  (Joh 11,25). Darum kann auch ein Apostel Paulus sagen: „Sein  Tod soll mich prägen“ (Phil 3,10). Reinhold Schneider hat dieser Weggemeinschaft eine Gedichtstrophe gewidmet:

„Wer heimlich Christi Leiden an seinem Leib gespürt,

wird im Hinüberscheiden vom ersten Glanz berührt;

Wer Christi Tod erlitten, wird mit ihm auferstehen;

Wo er hindurchgeschritten, da wage ich’s zu gehen.“

Eine Hilfe von der anderen Seite her!

Wir können unmöglich schweigen

Anfang und Ende des Lebens sind ausgezeichnete Momente. Sie weisen in eine andere Wirklichkeit und dürfen daher nicht rein innerweltlich abgehandelt werden. Je mehr der Mensch sich anmaßt, diese beiden Momente unter seine Machbarkeit zu bringen, desto mehr wird die  Lebenssubstanz dazwischen, an der wir alle teilhaben, geschwächt. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, das bisherige Verbot der Hilfe  zum Selbstmord aufzuheben, ist sehr zu bedauern und stellt einen Kulturbruch dar. Ich frage mich: Was werden die Folgen dieses Urteils sein? Wird es zu einem Dammbruch führen? Der Blick auf andere Länder zeigt:  Die Zulassung des assistierten Suizids war immer nur der Anfang. Die Gefahr weiterer Schritte, etwa die Einführung der Tötung auf Verlangen, wird auch bei uns virulent werden. Ein neues Geschäftsfeld winkt ins Land. Der niederländische  Medizinethiker Theo Boer spricht aus leidvoller Erfahrung: „Es ist nicht gut, wenn wir uns gegenseitig den Tod organisieren.“ Was ist zu tun? Wir  können unmöglich schweigen. Trotz Ohnmacht  –  die  Entscheidung  des  Verfassungsgerichtshofs steht fest  –  bringen wir uns ein, wenn es nun um die gesetzliche Ausgestaltung geht. Suchen wir das Gespräch, den öffentlichen Diskurs mit den politischen Instanzen, die für die neue Gesetzgebung verantwortlich  sind. Die Kirche betreibt nicht wenige  Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser und Seniorenwohnheime. An   diesen Orten sind wir besonders gefordert. Ich vertraue sehr auf ehrlich und sachkompetent geführte Argumente. Papst Franziskus spricht von einer Wegwerfkultur. Gegen so eine Kultur wollen wir uns mit unseren  besten Kräften stemmen. Treten wir daher aktiv dafür ein, dass Krankenhäuser, Institutionen in christlicher Trägerschaft, wie auch Hospiz- und Palliativstationen Menschen am  Lebensende mit bestmöglicher fachlicher und menschlicher Zuwendung begleiten können. Niemand soll mit Schmerzen oder einsam sterben müssen. Unsere ganze Aufmerksamkeit muss den möglichen Betroffenen gelten. Kümmern wir uns in christlicher Sorge um die Kranken und  Sterbenden. Ich weiß, das Leben kann schwer werden, dunkle Wolken  können besonders am Ende des Lebens aufziehen, woran Menschen zu  zerbrechen scheinen und es leider auch tun. Dafür braucht es allseits vollstes Verständnis und beherzte wie sachkundige Hilfestellungen. Den  bewährten Weg von Palliativ-  und Hospizversorgung gilt es weiter auszu-bauen! Die Salzburger Caritas führt mehrere mobile Palliativstationen, die Elisabethinnen betreiben ein zum großen Teil von Ehrenamtlichen  geführtes Obdachlosenhospiz. Das sind leuchtende Zeichen einer christlich verstandenen Humanität.

Unser Bemühen um eine neue Kultur des Lebens braucht die Bekehrung der Herzen, wozu die Fastenzeit aufruft. Weg von einer Ich-Religion, die Papst Franzis-kus unserer  Zeit  attestiert, zugunsten einer Welt des Mit-  und Füreinanders in Freud und Leid. Niemand soll sich davon ausnehmen und alle sollen jederzeit bereit sein, Zeugnis zu geben von der Hoffnung,  die das Leben beseelt.

„Allein den Betern kann es noch gelingen …“

Mit diesem Wort Reinhold Schneiders aus einem Gedicht möchte ich zum Gebet aufrufen. Auf meine Frage: „Hast du Angst vor dem Sterben?“, hat mir ein 90-jähriger und ein Zeit seines Lebens ängstlicher Mitbruder kurz vor seinem Tod geantwortet: „Ich habe seit meinem 13. Lebensjahr  jeden  Tag  um  eine  gute  Sterbestunde  gebetet. Nun vertraue ich mich diesem Gebet an.“ Die alte Tradition, um eine gute Sterbestunde zu beten, gilt es neu ernst zu nehmen. In unseren Gottesdiensten, wenn wir Jesu Tod und  Auferstehung feiern, soll das Gebet für die Sterbenden einen fixen Platz einnehmen. Aus meiner Kindheit ist mir die Erinnerung noch wach, dass  es ein „In-den-letzten-Zügen-Läuten“ gab. Wenn jemand im Sterben lag,  wurden die Glocken geläutet. Lassen wir Sterbende nicht allein und  verdrängen wir diesen wichtigen Schritt unseres Lebens, der uns allen bevorsteht, nicht.

Jesus hat seinen Tod zu einer Zeit angekündigt, als seine Missionstätigkeit noch in Blüte stand. Er wusste um seine Stunde, die kommen wird. Ich sehe dieses Wissen in Zusammenhang mit seinem  Rückzug zum Gebet. Früh morgens oder spät abends, immer wenn es finster war, zog er sich zurück zum Gebet mit Gott seinem Vater, er allein,  wird betont. So auch am Ölberg, in der Nacht vor seinem Leiden. Das war  sein Einüben in Angst und Blutschweiß auf das, was kommen wird. Am Kreuz von Golgota hat er das Leben mit den Worten ausgehaucht: „Es  ist  vollbracht.“  Niemand von uns kennt seine Stunde, aber wir wissen, sie wird kommen. Es wird dunkel werden und wir werden einsam sein. Da ist  Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, gefordert, stellvertretend aber  vorausahnend für sich selber, an den rechten Schächer zu erinnern: Herr,  wenn du in dein Reich kommst, denk an ihn, denk an sie, denk an mich.  Jesu Antwort: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43) – die Hoffnung für jeden Sterbenden.

Die Schlussworte gehören  den  Heiligen: 

Von Franziskus wird gesagt, er konnte am Ende seines Lebens den Tod  als  Bruder begrüßen, weil er im Leben so oft gestorben ist. Und der Hl. Don Bosco hat seinen Studenten und Brüdern die Übung vom guten Tod empfohlen. Das heißt, einen Tag im Monat so zu leben, als ob dieser der letzte wäre. Don Bosco hat diese Übung bis zu seinem Tod getan.

Bedenke Mensch … – aber: Der Herr wird Dich auferwecken! Bitten wir um den Segen Gottes:

Der Herr segne Euch und  behüte  Euch;  der  Herr  lasse  sein  Angesicht  über Euch leuchten und sei Euch gnädig; er wende Euch sein Antlitz  zu  und schenke Euch seinen Frieden! Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!

Hl. Josef, Patron der Sterbenden, bitte für uns!

Erzbischof Franz Lackner