Wort des Tages – Hausverstand
Liebe Gläubige! Lieber Leser unserer Pfarrhomepage!
Vor kurzem erzählte mir jemand, der erst kurz den Führerschein hatte, dass er gleich einen Unfall baute. Er sah jemanden auf die Straße treten, und erschrak so sehr, dass er das Lenkrad verriss und gleich in den Straßengraben auswich und einen Sachschaden verursachte. Dabei hätte ein kleines Ausweichmanöver genügt.
Auch ich selbst hatte einmal ein persönliches Erlebnis bei einem Verkehrsunfall. Ich fuhr an einem Freitag von der Gendarmerieschule nach Hause. Ich war etwas übermüdet vom Vortag (Kapellmeisterkurs – Musikprobe – dann Gasthaus) und nickte kurz ein. Dann schreckte ich auf, ich war vom Weg abgekommen und steuerte auf einen Baum zu. Ich konnte nichts mehr tun und fuhr sehenden Auges in den Baum. Da dachte ich nur mehr: Jetzt tuschts. Und es tuschte ordentlich. Zum Glück blieb ich unverletzt. Daran denke ich gerade in unserer derzeitigen Situation manchmal.
Der Psychotherapeut Raphael Bonelli hat jüngst ein Beispiel erzählt, um das Problem der Verhältnismäßigkeit einer bestimmter Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu veranschaulichen. Wenn ich mich Frage, ob ein Ausweichmanöver um einen Zusammenstoß zu verhindern, verhältnismäßig ist, ist es ein entscheidender Unterschied, ob vor dem Auto plötzlich ein Hirsch steht oder eine Maus.
Ich möchte dieses Bild weiterspinnen, denn bei der gegenwärtigen Situation kommt mir ein etwas anderer, ähnlicher Vergleich in den Sinn. Ein Autofahrer fährt um die Kurve und sieht plötzlich tatsächlich einen Hirsch vor sich auf der Straße. Links kann er nicht ausweichen, da ein Hang ist, rechts kann er ausweichen, aber da ist eine Geländekante und dahinter ein Abhang. Der Autofahrer ist so gebannt von der unmittelbaren Gefahr des Zusammenstoßes, dass er, koste es, was es wolle, ausweicht, den Hang hinabstürzt und tödlich verunglückt. Mit dem Ausweichen hat er zwar ein Übel verhindert, dafür aber ein größeres damit verursacht.
So ähnlich scheint mir die jetzige Situation zu sein, wobei ich selbst hoffe, dass ich mich irre. Da ist das Virus. Es ist die Gefahr vorhanden, dass es sich schnell ausbreitet und dadurch im Gesundheitswesen ein Engpass entsteht. Um diesen zu vermeiden, haben viele Regierungen nach dem Motto “koste es, was es wolle” jetzt drastische Maßnahmen ergriffen, so drastisch, dass ein großer Teil der Wirtschaft lahmgelegt wurde. Es besteht die reale Gefahr, dadurch eine noch größere Gefahr heraufzubeschwören. Da die Wirtschaft so vernetzt ist, könnte diese Lahmlegung im Endeffekt auch das Gesundheitswesen betreffen, ebenso die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern. Das könnte wiederum zu Plünderungen führen und noch größeren Übeln, die ich hier gar nicht weiter ausführen möchte. Am Ende könnte es dann sein, dass der Schaden, den man verursacht, den großen Schaden, den man vermeiden wollte, bei weitem übersteigt. Das Problem dabei ist, dass das eine Übel (der Hirsch bzw. das Virus) unmittelbar sichtbar ist, während der Abgrund hinter der Geländekante nicht unmittelbar vor Augen steht und daher nur dem Vernünftigen dem mit Hausverstand vorausschauenden zugänglich ist.
Wie sollte der Autofahrer jetzt richtig handeln? Er sollte die unmittelbare Gefahr erkennen aber auch die Gefahren, die ein Ausweichen zu Folge hat. Er sollte erkennen, dass das Ausweichen in dieser Situation einen noch größerer Schaden hervorrufen könnte. Deshalb soll er das tun, was ihm in dieser Situation möglich ist. Erstens einen Zusammenprall als geringeres Übel in Kauf nehmen, zweitens diesen Anprall möglichst gering halten, d. h. bremsen, so gut es geht. Ein drittes sollte er auch noch tun, nämlich ein Stoßgebet sprechen. Denn: Es könnte sein, dass der Hirsch plötzlich noch mit einem Satz wegspringt.
Auf die gegenwärtige Situation bezogen, könnte das Folgendes bedeuten. Die Politik soll Maßnahmen treffen, um das Gesundheitswesen möglichst gut vorzubereiten. Sie soll die Ausbreitung des Virus‘ möglichst eindämmen, aber nicht dabei den wirtschaftlichen Kollaps riskieren, was sie gegenwärtig zu tun scheint.
Die Kirche ist vorwiegend für den Bereich Stoßgebet zuständig. Sie sollte die Menschen animieren zum Gebet, zur Umkehr und zur Buße. Dadurch könnte auf unvorhergesehene Weise durch ein Eingreifen Gottes die Gefahr gemindert werden und/oder den Menschen geholfen werden, sie gut zu bestehen. Momentan sind den wenigen Gläubigen, den treuen Betern viele geistliche Mittel genommen, die auch Schutzcharakter haben. Es bleibt zu hoffen, dass nach der Andeutung des Bundeskanzlers, dass nach Ostern einige Maßnahmen gelockert werden, die Bischöfe besonders dafür eintreten, dass der Zugang zu eben diesen geistlichen Kraftquellen für die Menschen ehestmöglich wieder zugänglich gemacht wird. Auch ein eindringlicher Aufruf zu Gebet, Umkehr und Buße durch die Bischöfe ist höchst an der Zeit. Denn die Hinwendung zu Gott macht angstfrei, erhellt den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit und stärkt zum Bestehen von schwierigen Situationen.
Eine Schlüsselrolle fällt den Medien zu. Diese sollten die nicht erkennbaren aber noch größeren Gefahren vor Augen stellen, die Angst vor den unmittelbaren Gefahr nicht schüren, sondern eindämmen, an alle guten Eigenschaften appellieren und auch zum Gebet ermutigen.
Ich meine, in dieser Situation ist der Hausverstand, die Vernunft und das Vertrauen in Gott sehr wichtig. Alle Gläubigen sind jetzt besonders gefragt, durch Umkehr Gebet und Buße alle Bemühungen zu unterstützen und eine Eingreifen Gottes zu erwirken.
Zwei Erkenntnisse fallen mir noch ein, die jetzt helfen können.
Erstens: Jeder von uns kann diese Situation auch als Gelegenheit betrachten, zu lernen, zB Dankbarkeit, Geduld, Genügsamkeit, Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein. Wenn wir dies erkennen, wird ER daraus Gutes entstehen lassen.
Zweitens: Wir sollen erkennen, dass es in Wirklichkeit nur ein Übel gibt, das wir auf alle Fälle, d. h. koste es was es wolle, abwenden sollten, nämlich die Sünde. Sie ist das einzige wirkliche Übel. Wer das Jüngste Gericht fürchtet und alles in seiner Kraft stehende tut, um die Sünde zu meiden, der wird eine große innerliche Stärkung erfahren, frei werden von Ängsten, einen klaren Blick wir die Wirklichkeit bekommen und ungeahnte Kräfte zur Bewältigung von Herausforderungen mobilisieren können.
Darauf vertraut euer Dekan
Ignaz Steinwender