Wort des Tages – Der Karfreitg
Am heutigen Tag blicken wir auf das Sterben unseres Meisters. Dabei denken wir wohl auch an das Sterben überhaupt und daran, dass jeder von uns einmal sterben wird. Jüngst hat jemand in Bezug auf gegenwärtige Entwicklungen einen sehr provokanten Satz gesagt. Aus Angst vor dem Sterben verzichten wir auf das Leben. Wir nehmen schon zu Lebzeiten den Tod in Kauf (durch viele Einschränkungen), damit wir als bereits Tote etwas später sterben.
Heute vor 16 Jahren ist Johannes Paul II. verstorben. Dieser große Heilige hat bei seinem Deutschlandbesuch gesagt: Der Mensch kann nicht auf Probe leben, er kann nicht auf Probe lieben und nicht auf Probe sterben. Denn, so könnte man hinzufügen. Das Leben eines jeden Menschen ist einmalig, die Liebe ist einmalig und das Sterben auch. Und: Leben, lieben und sterben gehören irgendwie zusammen. Der Heilige Franziskus konnte vom Tod als Bruder sprechen, weil er in ganz tiefer Weise, mit Christus verbunden, ein Liebender und ein Leidender geworden war. Er hat ganz gelebt, ganz geliebt und ist selig gestorben.
Am heutigen Tag wollen wir mit dem Blick auf unseren Herrn besonders für unsere lieben Verstorbenen beten und uns auch mit ihnen im Gebet verbinden. So beten wir als Pfarre auch besonders für Anna Gruber (Höger), die gestern verstorben ist. Der Tod ist immer, auch wenn ein Mensch einen starken Glauben hat, ein dramatischer Einschnitt, ein Bruch. Er führt uns die Dramatik der Erbsünde vor Augen, erinnert uns an die Vergänglichkeit dieses Lebens und lässt uns mehr über das Leben selbst nachdenken. Jesus selbst hat über den Tod des Lazarus geweint. Der Karfreitag lenkt unseren Blick wieder neu auf Sterben und Tod.
Im Theologiestudium hat ein Philosophieprofessor einmal gesagt: Ich wünsche euch, dass ihr einmal die Gelegenheit habt, beim Sterben eines Menschen dabei sein zu können. Das ist etwas Einmaliges und wichtig für euer Leben. Das Sterben eines Menschen ist etwas höchst Intimes und Geheimnisvolles, vielleicht sogar etwas Mystisches. Als Pfarrer habe ich das Privileg, regelmäßig bei Sterbenden zu sein und mit Sterbenden vertraut zu sein. Wer den Tod und das Sterben verdrängt, der verdrängt auch das Leben, der lebt am Leben vorbei!
Als Johannes Paul II. im Sterben lag und Millionen Menschen an seinem Leiden Anteil nahmen, gab es viele Stimmen – auch aus Theologenkreisen – die sagten: “Der Papst soll doch zurücktreten, es ist nicht zumutbar, öffentlich zu leiden.” Der Journalist Günther Nenning, der im Alter Johannes Paul II. zu schätzen begann und sich selbst als „treuen Fernstehenden“ bezeichnete, schrieb dazu in der Krone sinngemäß: “Es ist doch selbstverständlich, dass der Stellvertreter Christi wie sein Meister stirbt, nämlich öffentlich”.
Jesus ist öffentlich gestorben. Er hat gesagt: “Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen”. Der Karfreitag ist der Tag, an dem ER uns an sich zieht. Jesus hatte einen Todeskampf, er kämpfte aber nicht gegen das Sterben, sondern er nahm das Sterben und den Tod aus Liebe auf sich. Dieser Kampf der Liebe führte zum Sieg über den Tod und über die Sünde, die die tiefere Ursache des Todes ist. Mit jedem „Gegrüßet seist du Maria“ beten wir auch um eine gute Sterbestunde.
Das Leiden Christi ist ein Ausdruck der größtmöglichen Liebe, der Ganzhingabe, die anziehend ist, mit der ER uns an sich ziehen möchte.
Der Herr zeigt uns damit den Weg zum christlichen Sterben. Wenn wir seine Liebe annehmen, dann wird Er uns helfen, einmal im Blick auf die Auferstehung, würdig und in Frieden zu sterben, den leiblichen Tod wie Franziskus als Bruder anzunehmen. Diese Sichtweise würde uns helfen, die gegenwärtige Krise vernünftig, gerecht, menschlich und letztlich christlich zu bewältigen.
In jeder Heiligen Messe feiern wir den Tod und die Auferstehung Christi. Gerade das hilft uns, das Leben wirklich zu leben, das Sterben als Heimgang zu betrachten und im Blick auf die Auferstehung erfüllt zu leben.
Der Karfreitag enthält die Boschaft: Wir sollen auf den blicken, den sie durchbohrt haben. Auf den Gekreuzigten blicken heißt, dem Tod, auch dem eigenen Tod ins Auge zu sehen. Auf IHN blicken heißt, die Liebe Gottes zu erkennen, sich im eigenen Herzen von diesem Feuer der göttlichen Liebe entzünden zu lassen. Der Psalmist sagt: „Unsre Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Ps 90,12). Wenn wir mit dem Tod rechnen, schenkt uns Gott die Weisheit, die uns fähig macht, das wahre Leben zu erkennen und allem Vergänglichen vorzuziehen. Christen sollen mit dem Sterben rechnen, in der Hoffnung auf die Auferstehung von den Toten.
Christen sollen für die Gesundheit eintreten, aber im Wissen darum, dass sie ein vergängliches Gut ist, sie sollen das Leid anderer mindern helfen, für die Leidenden beten und Menschen im Leiden beistehen. Und: Christen sollen nicht versuchen, möglichst etwas vom Leben zu haben, sondern viel, viel mehr! Sie sollen das Leben selbst ergreifen! Das Leben in Christus, der über Sünde und Tod gesiegt hat.
Ich möchte euch besonders einladen, heute und morgen zu fasten, zu beten, das Heilige Grab in der Pfarrkirche aufzusuchen, um euch mit den Verstorbenen zu vereinen, beim Kerker in der Pfarrkirche zu verweilten, um euch mit den Leidenden zu verbinden und das Allerheiligste im Jungscharraum zu besuchen. Betet auch beim Seitenaltar von Johannes Paul II., dass er Euch helfen möge, einmalig und gottverbunden zu leben und zu lieben, um im Blick auf die Auferstehung selig zu sterben.
In der Messe wird dieser Sieg Christi gefeiert. Richten wir so heute unseren Blick auf den Herrn im Wissen darum, dass er am Karfreitag den Sieg schon vollbracht hat und wir durch unseren Glauben an seinem Sieg Anteil haben.
Mit Euch verbunden
Ignaz Steinwender