Wort des Tages – Heiliger Zorn
Der Heilige Zorn
Vorgestern haben wir über die Evangelienstelle nachgedacht, wo Jesus über Jerusalem weint, über das Weinen des heiligen Petrus und die Bedeutung des Weines für uns Christen.
Gestern wurde uns im Evangelium eine andere Gemütsbewegung Jesu berichtet, nämlich der Zorn, der heilige Zorn. Ich möchte deshalb an dieser Stelle mit euch über Bedeutung, Wichtigkeit, die Notwendigkeit und die Gefahren des Zornes nachdenken.
Jesus hatte einen Heiligen Zorn
Es hieß im Lukasevangelium, dass Jesus begann, im Tempel die Händler hinauszutreiben, indem er zu ihnen sagte: „In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht.“ Im Matthäusevangelium ist es noch drastischer geschildert. Da heißt es sogar, dass Jesus alle Händler und Käufer hinaustrieb und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler umstieß (Mt 21,12f).
Ist das nicht ein für uns ungewohntes Bild? Jesus vertreibt die Händler. Er hat einen Heiligen Zorn. Es ist doch bezeichnend. Wenn es um die Heiligkeit des Tempels geht, um das Haus des Vaters, da wird Jesus emotional, leidenschaftlich, ja sogar zornig.
Die Leidenschaften im Menschen
Dies ist ein Anlass, über den Zorn nachzudenken, besonders über den Heiligen Zorn. Viele Kirchenväter, in jüngster Zeit auch der Philosoph Joseph Pieper haben über die Leidenschaften der Menschen nachgedacht, besonders ausführlich tat dies der Heilige Thomas von Aquin. Es gibt im Menschen zwei Hauptleidenschaften, wir könnten auch sagen zwei Triebkräfte, nämlich die Begehrkraft und die Zorneskraft. Diese sind an sich gut und für das Überleben des Menschen notwendig. Die Begehrkraft ist dem Menschen gegeben, damit er das Notwendigste zum Überleben erlangt (Hunger und Durst zum Überleben des Individuums und der Sexualtrieb zum Überleben der Spezies), die Zorneskraft ist dazu da, Gefahren abzuwehren oder hohe Ziele durch Beseitigung von Hindernissen anzustreben. Diese Kräfte sind an sich gut, aber sie können auch entarten. Die Entartung der Begehrkraft führt zur Unmäßigkeit oder Zuchtlosigkeit, die Entartung der Zürnkraft zur Hauptsünde des Zornes.
Heiliger Zorn, sündhafter Zorn, die Sünde des Nichtzürnens
Hier muss man also unterscheiden zwischen einem Heiligen Zorn und einem sündhaften Zorn. Der Heilige Zorn ist dann gegeben, wenn jemand um der Wahrheit Willen, weil es um etwas Heiliges geht, in einen Zorn gerät, zur Heiligkeit des Zorns gehören auch die Anwendung der richtigen Mittel und das innere Freisein von Verletztheit, Beleidigtheit und ähnlichen Empfindungen. Sündhaft wird der Zorn dann, wenn das Ego des Menschen im Mittelpunkt steht, wenn der Mensch beleidigt, persönlich angegriffen oder aus einer Verletzung heraus agiert und es um ihn selbst und nicht um einen höheren Wert geht.
Eine heute vielleicht noch mehr verbreitete Sünde als der Zorn ist die Sünde des Nichtzürnens. Es gibt heute eine große Gleichgültigkeit gegenüber schlimmen Dingen. Viele Christen sind unempfindlich, wenn Heiliges profaniert wird, wenn über das Heilige gespottet wird oder wenn die Kirche durch den Dreck gezogen wird. Diese Unempfindlichkeit entspringt nicht selten einem Egoismus, einer Wertblindheit und wird oft fälschlicherweise als Toleranz, Sanftmut etc. verstanden. Dieselben Leute sind meist hochempfindlich, wenn es um ihre persönlichen Interessen geht. Ein winziger Anlass genügt, und sie sind, wie man sagt, „auf der Palme“. Heute wird die Profillosigkeit, die Feigheit, der opportunistische Geist der Anpassung als Toleranz gepriesen, während Bekennermut, Geradlinigkeit und ein leidenschaftlicher Eifer vorschnell als Fanatismus verunglimpft werden.
Der Philosoph Joseph Pieper hat sich einmal in einem Traktat mit der Frage beschäftigt, wie ein Mensch die Zuchtlosigkeit des Genießens, d. h. die Süchtigkeit eines entarteten Genusswillens überwinden könne. Er meinte dann, dass dem oft durch „bloße Verneinung, durch krampfhaftes „Nicht-daran-Denken“ keineswegs beizukommen sei. Es könne vielmehr gelingen, wenn jemand eine positive Herausforderung, um die er kämpfen muss, mit aller Kraft angehe. Er zitiert dabei den Heiligen Thomas, der schreibt: „So müsse es möglich sein, die schlappe Zuchtlosigkeit des unkeuschen Genusswillens dadurch zu überwinden und sozusagen auszulöschen, dass eine harte Aufgabe mit der Widerstandsfreudigkeit der vollen Zürnkraft angegriffen werde.“ Josef Pieper macht in diesem Zusammenhang dann eine starke Feststellung, wenn er schreibt:
„Erst die Verbindung der Zuchtlosigkeit des Genießenwollens mit der faulen Unkraft zu zürnen ist das Kenn-Mal völliger und eigentlich hoffnungsloser Entartung. Sie zeigt sich, wo immer eine Gesellschaftsschicht, ein Volk, eine Kultur reif ist zum Untergang.“
Beispiele für einen Heiligen Zorn
Es gibt viele Beispiele für einen Heiligen Zorn. Als Mose von Berg Sinai herunterkam und sah, dass die Israeliten um das goldene Kalb tanzten, da entbrannte sein Zorn. Er schleuderte die Tafeln fort und zerschmetterte sei am Fuß des Berges, packte das goldene Kalb und verbrannte es (vgl. Ex 32,17f).
Als im Oktober 2019 in der katholischen Kirche Santa Maria in Traspontina in der Nähe des Vatikans die Gläubigen mit der Aufstellung von heidnischen Figuren nackter schwangerer Frauen (vielfach als „Göttin Pachamama“ interpretiert) beglückt wurden, da geriet ein Österreicher offensichtlich in einen heiligen Zorn. Er fuhr nach Rom, entfernte die Figuren und warf sie in den Tiber.
Als die Bayern in der napoleonischen Zeit Tirol besetzten und neben manchen Freiheitsbeschränkungen auch darangingen, Wallfahrten und Prozessionen zu verbieten, da gerieten viele Tiroler in einen „Heiligen Zorn“ und warfen die Bayern hinaus. Natürlich war nicht alles am Tiroler Freiheitskampf heilig, aber ein Grund- und Hauptmotiv dürfte der Zorn über die Einschränkung der Religionsfreiheit gewesen sein.
Wo bleibt der Heilige Zorn?
Jesus hat die Händler aus dem Tempel getrieben. Der Eifer für das Haus des Vaters hat ihn verzehrt. An dieser Stelle könnte man sehr viel sagen über Blasphemie, über liturgische Missbräuche, die besonders auch im „Heiligen Land“ Tirol geschehen sind etc. Gegenwärtig werden aber sogar diese Dinge noch in den Schatten gestellt durch die neuen Beschränkungen bzw. Verbote von Gottesdiensten (Rahmenordnung der Bischofskonferenz, vorläufig gültig vom 17. November bis 6. Dezember). Gottesdienste sollen nichtöffentlich unter Beschränkung auf nur zehn Personen gefeiert werden. Bei unserer Pfarrkirche mit knapp 800 Quadratmetern Nutzfläche, der größten Rundkuppel Tirols (21 m hoch, mit Laterne 27 m), 700 Sitzplätze und insgesamt knapp 12.000 Kubikmetern Innenraum dürfen nur neun Gläubige und eine Vorsteher Gottesdienst feiern. Auf einen Gläubigen kommen somit 1.200 Kubikmeter Luft oder 80 Quadratmeter. Niemand kann mir erklären, dass es ein Sicherheitsrisiko wäre, wenn man z. B. 50 oder 100 Gläubige für den Gottesdienst erlauben würde? Immerhin geht es dabei um die Feier der Heiligen Messe, die wir Gipfel und Quelle allen Tuns der Kirche bezeichnen und deren Besuch am Sonntag ein Gebot ist.
Wäre es jetzt nicht an der Zeit, wenn in vielen Gläubigen ein heiliger Zorn aufkäme? Wie könnte sich dieser zeigen? Durch Anrufe, Leserbriefe oder vielleicht auch durch öffentliche Proteste.
Ich habe eigentlich nie viel von Visionen gehalten. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt!“ Jetzt ist mir doch eine Vision gekommen. Wir wäre es, wenn in vielen Tiroler Schützen plötzlich beim Gedanken, was Andreas Hofer heutzutage tun würde, ein heiliger Zorn entbrennen würde und in der Folge Schützenkompanien vor dem Landhaus, am Kapitelplatz und am Ballhausplatz aufmarschieren würden, in der Bereitschaft, für die Religionsfreiheit zu kämpfen. Ein heiliger Zorn, ein Signal, dass wir noch nicht reif für den Untergang sind. Jetzt werde ich auf einmal unsicher, ob das nur eine Vision ist, oder ob es mir nicht todernst ist, im Sinne der Aufforderung Andreas Hofers: „Manda, ‘s isch Zeit!!!!“
Wenn es keinen heiligen Zorn mehr gibt, wenn uns nichts mehr heilig ist, wenn wir der Lüge nichts mehr entgegensetzen, dann mögen uns die Worte des Apostels Paulus aus dem Römerbrief aufrütteln: „Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.“
Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes
Jetzt ist es natürlich wichtig, gut aufzupassen, dass der Zorn wirklich ein heiliger Zorn ist. Ich fange jetzt bei mir selber an und mache sofort eine Gewissenserforschung. Der Apostel Paulus schreibt: „Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes!“ Das müssen wir, dass muss jeder Christ zuerst bedenken. Ein Zorn wird dann heilig, wenn wir selbst ein Tempel des Heiligen Geistes sind. Deshalb sollen wir bei der Betrachtung über Vertreibung der Händler durch Jesus aus dem Tempel den Herrn auch bitten, dass er uns hilft, unseren eigenen Tempel zu reinigen, von Lauheit, von Egoismus, von der Genusssucht, von unheiligem Zorn, von der Versuchung, den Splitter im Auge des Nächsten zu sehen, den Balken im eigenen Auge aber nicht und dass er uns helfe, das Heilige heilig zu halten und selbst heilig zu werden.
Bemühen wir uns selbst, mit der Gnade Gottes mitzuwirken und durch Gebet, durch ein aufrichtiges Tugendstreben, durch praktizierte Nächstenliebe und durch echte Feindesliebe den eigenen Tempel zu einer Wohnstatt des Heiligen Geistes zu machen.
Ich wünsche mir und Euch allen einen heiligen Zorn!