Wort des Tages – Jesus weint

Wort des Tages – Jesus weint

Jesus weint

In Jerusalem steht am Ölberg die Kirche „Dominus flevit“, das heißt „der Herr weint“. Wenn man in dieser Kirche Messe feiert, dann sieht man über den Altar hinweg durch die freie Glaswand direkt auf die Altstadt Jerusalems. Hier hat der Herr, wie es im heutigen Evangelium heißt, über Jerusalem geweint. Er tat es mit den Worten:

„Wenn du doch an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen.“ Und der Herr fügt die Konsequenzen hinzu, indem er sagt:

„Es wird eine Zeit für dich kommen, in der deine Feinde ringsum dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein auf dem andern lassen; denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt.“

Jesus ist als Gott ganz Mensch geworden. Von ihm werden ganz tiefe emotionale Regungen berichtet wie der Heilige Zorn, als er die Händler aus dem Tempel jagte und eben sein Weinen. Zweimal wird uns in den Evangelien berichtet, dass Jesus geweint hat. Am Grab seines Freundes Lazarus und eben am Ölberg über Jerusalem.

Zweimal weint Jesus

Jesus weint also, wenn es um den Tod geht bzw. um den Verlust des Lebens.

Jesus weint am Grab seines Freundes Lazarus, weil der Tod ihn erschüttert. Der Tod als Folge der Erbsünde, der Tod als verneinende Kraft. Jesus wird dann durch seine Auferstehung dem leiblichen Tod den Stachel nehmen, trotzdem bleibt der leibliche Tod auf für den Gläubigen immer noch erschütternd. Als Pfarrer erlebe ich das immer wieder und Gott sei Dank habe ich mich nie daran gewöhnt. Jeder Todesfall erschüttert mich.

Jesus weint über Jerusalem. Er weint, weil die Menschen in Jerusalem die Gunst der Stunde, die Gnade, das Heil nicht erkennen. Sie erkennen nicht, dass ER den Frieden bringt. Jesus weint über den geistlichen Tod Jerusalems, denn dieser ist noch viel erschütternder ist als der leibliche Tod. Ohne Gott ist der Mensch tot. ER, der Herr, wird alles geben und bis zum Äußersten gehen, er wird sich kreuzigen lassen, um die Menschen durch diese Liebestat an sich zu ziehen, zum Leben. ER weint, weil er sieht, sie werden das Heil nicht annehmen. Sie erkennen nicht die Zeit der Gnade. Er sieht auch die dramatischen Konsequenzen. Jerusalem wird zerstört werden, restlos, ganz, dem Erdboden gleich gemacht.

Die Bedeutung des Weinens

Das Weinen hat für uns Menschen eine besondere Bedeutung. Es ist ein Schmerz, ein bitterer Schmerz, aber es kann auch ein reinigender, heilender, läuternder Schmerz sein, z. B. ein Reueschmerz. Es ist, um es einfach zu sagen, gut, wenn der Mensch weinen kann. Wenn ein Mensch weint, kann sich vieles lösen. So wie das Lachen ist auch das Weinen etwas zutiefst Menschliches.

Petrus weint

Ein besonders Beispiel für die Bedeutung des Weinens wird uns in der Leidensgeschichte von Petrus berichtet. Als ich zu meinem 25. Priesterjubiläum einige Hühner bekam, da hat mir der Bürgermeister vom Gerlosberg auch einen Hahn geschenkt. Der Hahn hat jeden Morgen kräftig gekräht. Es ist ein durchdringender, irgendwie durch Mark und Bein gehender Schrei. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen und habe ihn, auch zur Freude mancher Nachbarn, wieder weggeben lassen. Der Hahn gilt auch als Symbol der Auferstehung, weil er die Morgenröte, das kommende Heil ankündigt. Er ist auch ein Symbol unseres Pfarrpatrons, des Heiligen Vitus. In der Leidensgeschichte ist es der Hahn, der den Verleugner Petrus anklagt.

Als der Hahn kräht, erinnert sich Petrus an die Vorhersage seines Meisters (noch ehe der Hahn kräht, wird du mich dreimal verraten haben). Beim Hahnenschrei trifft es den Petrus mitten ins Herz. Es wird ihm bewusst, jetzt habe ich meinen lieben Meister dreimal verleugnet. Es heißt in der Schrift: „Und er ging hinaus und weinte bitterlich.“ (Mt 26,74). Dieses Weinen und das Gebet des Herrn haben aus dem feigen Petrus einen Bekenner, einen Märtyrer gemacht. Über sich selbst weinen können, darin liegt eine große, heilende Kraft. Wer über sich weinen kann, die Fähigkeit zu einem Reueschmerz hat, der wird ein neuer Mensch.

Wir dürfen weinen

Wir erleben gerade atemberaubende Entwicklungen in unserer globalisierten Welt. Viele denken sich, es ist zum Weinen. Ob es die Angst vor der wirklichen oder vermeintlichen Gefahr eines Virus ist, ob es die radikalen Beschränkungen der Freiheit sind, ob es die Sorgen um den wirtschaftlichen Zusammenbruch sind, ob es das Verhalten von Politikern, Bischöfen etc. ist? Vieles scheint zum Weinen zu sein.

Aber die gegenwärtige Krise hat einen tieferen Grund und nur von dort kann eine wirkliche Wende kommen. Die Krise hat eine geistige Wurzel, die Abkehr des Menschen von Gott, die Sünde. Im Blick auf Petrus sollen wir erkennen. Es kann eine große Gnade sein, wenn wir weinen können, beim Tod eines Menschen, der uns erschüttert und mehr noch beim geistlichen Tod von Menschen, was noch viel erschütternder ist. Wir dürfen bei jeder Todsünde, die wir begehen oder erfahren, weinen. Vor allem dürfen wir auch über uns selbst weinen, über Versäumnisse, über die Verleugnung des Herrn, über vieles mehr.

Wer weint heute wie Rahel (vgl. Jer31,15; Mt 2,18) um die vielen Kinder, die getötet werden? Wer weint über die Tötung der scheinbar unnütz gewordenen Alten durch Euthanasie? Wer weint heute über die vielen Gotteslästerungen, die geschehen, wer weint über die Gleichgültigkeit gegenüber der Sünde.

Die Stadt Jerusalem hat nicht erkannt, was ihr zum Frieden dient. Jerusalem hat nicht die Stunde der Gnade erkannt. Wir haben es erkannt und sind abgefallen. Wir müssen zur ersten Liebe zurückkehren.

Jesus sagt in der Leidensgeschichte: „Weint nicht über mich, weint über Euch und Eure Kinder.“  In der Bergpredigt sagt er: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“

Die Zeit der Gnade ist da

Es gibt heute viele Dinge und Entwicklungen, die vielen von uns zu schaffen machen. Die Spannungen nehmen zu, die Spaltungen werden größer, die Überforderungen an allen Enden und Ecken, es entstehen viele Aggressionen, die sich einmal entladen werden. Vieles macht traurig und ist zum Weinen.

Traurig sein und Weinen ist besser als aggressiv werden, es ist dann gut und heilsam, wenn wir es im Blick  auf den Apostel Petrus und noch mehr im Blick auf den Herrn tun.

Der Herr hat auf Jerusalem geblickt, der Blick des Herrn ruht auf uns. ER, der liebende Herr sieht uns. ER ist da. Wenn wir das erkennen, dann merken wir: Jetzt ist die Zeit der Gnade!

Davon bin ich überzeugt, euer Dekan

Ignaz Steinwender