Wort des Tages – Apostelgeschichte einst und jetzt
Wir und der Heilige Geist
In den letzten Jahrzehnten gab es viele Diskussionen über Erneuerung und Reformen in der Kirche. Es gab viele Aufbrüche, pastorale Konzepte und Zukunftsprozesse. Doch die Wirklichkeit schien entgegengesetzt zu sein. Es gab immer mehr Rückgänge, Einbrüche und Zusammenbrüche. Wenn ich über diese Wirklichkeiten nachdenke, dann fällt mir die Apostelgeschichte ein, aus der besonders in der Osterzeit bei der Messe immer wieder vorgelesen wird. Für mich ist folgendes faszinierend:
Wie war es möglich, dass zwölf Apostel (der größte Priestermangel aller Zeiten) und ihre Nachfolger in weniger als drei Jahrhunderten die damalige Welt eroberten, ohne Geld, ohne Machtmittel, ohne Struktur, ohne irgendeine Lobby? Das ist unglaublich faszinierend! Die Antwort kann man in der Apostelgeschichte finden. Die Apostel verkündeten den Herrn, die neue Lehre, und es heißt von ihnen: Sie hielten fest an der Lehre, an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. (Apg 2,42) Und wie konsequent sie das taten, wird auch gesagt. In der heutigen Lesung (Apg 5, 27-33) wird berichtet, dass die Apostel vom Hohen Rat verhört wurden. Man hatte ihnen vorgeworfen, dass sie trotz des Verbotes, in seinem Namen zu lehren, Jerusalem mit ihrer Lehre erfüllt hatten. Zu diesem Vorwurf antworteten Petrus und die Apostel: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Weiter unten in der Lesung heißt es dann noch: „Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen.
Hier liegt der Schlüssel zur wundersamen Ausbreitung der Christen, die eigentlich ein Gottesbeweis, ein Beweis des Heiligen Geistes und ein Beweis der Göttlichkeit der Kirche ist. Gott mehr gehorchen heißt, Gott an die erste Stelle stellen. Die Urchristen waren gute Staatsbürger. Paulus hat sogar im Römerbrief geschrieben, dass jede staatliche Ordnung von Gott eingesetzt ist. Die Urchristen haben mit einer Selbstverständlichkeit für den Kaiser gebetet, auch in Zeiten, wo sie verfolgt wurden. Im Diognetbrief heißt es von den Christen sogar, dass sie Gesetze des jeweiligen Landes nicht nur einhielten, sondern sogar überboten. Aber: Wenn es um göttliches Recht ging, dann haben die Christen Gott den Vorrang gegeben. So haben sie sich zum Beispiel geweigert, dem Kaiser göttliche Verehrung zuzuerkennen. Dafür sind sie in den Tod gegangen. Oder sie waren nicht bereit, am Sonntag (am ersten Tag der Woche) auf das Herrenmahl (Eucharistiefeier) zu verzichten. Es gibt Märtyrerakten von Ägypten, wo sich Christen vor dem Richter dazu bekannten und sagten: Ohne den Herrentag können wir nicht leben, und dann als Märtyrer starben. Dieses Zeugnis vieler Christen, die sogar ihr Leben hingaben für den Glauben, hat viele Menschen angezogen und bewogen, diese neue Lehre anzunehmen.
Weil die Christen bereit waren, Gott alles zu geben, hatten sie eine unglaubliche Ausstrahlungskraft, eine innere Stärke und ein hohes Maß an Belastbarkeit. Weil sie von diesem Gott der Liebe erfüllt waren, haben sie konsequent nach den Geboten gelebt und, wie schon gesagt, die Gesetze sogar überboten. Aus diesem Grund waren sie als Arbeiter, Mitarbeiter oder Vorgesetzte besonders gefragt und haben in kurzer Zeit wegen dieser moralischen Eigenschaften im römischen Reich wichtige Stellungen beim Militär oder im Beamtentum eingenommen.
Die heidnische Welt hat von den Christen profitiert, die sie am Anfang verfolgt hat. Viele sind dann eben Christen geworden und haben schließlich die heidnische Welt abgelöst.
In der gegenwärtigen Krise könnte man genau auf dieses Rezept zurückgreifen. Gott mehr gehorchen als den Menschen, offen werden für das Wirken des Heiligen Geistes.
Manchmal mache ich die Erfahrung, dass Menschen die nicht beten können, ganz dankbar sind, wenn man ihnen verspricht, für sie zu beten. Fernstehende haben oft ein tiefes Gespür für die Wirksamkeit von Glauben und Gebet.
Es könnte auch auf höherer Ebene so sein. Ein säkularer Staat könnte zB eine Glaubensgemeinschaft stärken oder fördern, weil er die Ahnung hat, dass sich dies von einer höheren Ebene aus positiv auf die Gesellschaft auswirkt. Man könnte zB zum Schluss kommen, dass der Glaube als Frucht die Moral hervorbringt (Glaube ist jedoch viel mehr als bloße Moral), die hohe Moral inspiriert das Kulturleben, fördert die Wirtschaft und den sozialen Level.
Nichtgläubige können sehr oft gewisse Vorteile des Glaubens erkennen und schätzen. Den Christen selbst muss es jedoch zuerst um Sein Reich gehen (Mt 6,33), darum, ihm mehr zu gehorchen als den Menschen. Wenn Christen darauf bedacht sind, bloß der Welt nützlich zu sein, dann verlieren sie ihre Anziehungskraft und letztlich auch ihre „Nützlichkeit“, wenn sie jedoch Gott den Vorrang geben, dann stellt sich ihre Nützlichkeit als Folge, als Frucht ein, dann wird ihnen alles andere von Gott hinzugegeben (Mt 6,33). Sie können für eine Gesellschaft sein wie eine Seele für den Leib.
Gegenwärtig ist vieles auf dem Prüfstand. Die Kirche, unser persönliches Leben und Glaubensleben, das Verhältnis von Kirche und Staat, das gesellschaftliche Leben. Vieles, was kommen wird oder nicht kommen wird, wird sich an der Frage entscheiden, ob wir – jeder einzelne und die Kirche insgesamt – Gott oder dem Menschen mehr gehorchen, es wird sich an der Frage entscheiden, ist der Mensch sich selbst überlassen und ausgeliefert oder wirkt der Heilige Geist.
Im Vertrauen auf den Heiligen Geist beim Ringen um tägliche Entscheidungen mit euch verbunden
Euer Dekan
Ignaz Steinwender