Wort des Tages – Brief an die Senioren
Liebe Senioren!
Als ich 1988 einmal Kardinal Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI. von Hofgastein nach Salzburg chauffierte und wir in der Alpenstraße über die neue Polizeidirektion sprachen, sagte er, in Anspielung auf meinen Wechsel von der Polizei zum Priesterstudium: „Der Polizist und der Priester sind verwandte Berufe!“ Auf meine gespannte Nachfrage, warum, antwortete er: „Der Polizist und der Priester haben mit dem Menschen zu tun!“ Ich betrachte es wirklich als großes Geschenk, dass ich es mit Menschen zu tun haben darf. Am meisten freuen und erfüllen mich die Begegnungen mit Kindern und mit alten Menschen. Von den Kindern möchte ich lernen, vor Gott wieder ganz Kind zu werden, wie es Jesus ja empfiehlt, von den Altern habe ich durch Gespräche immer wieder vieles an Erfahrung gelernt und darf es weiter tun.
Gerade in der jetzigen Situation denke ich immer wieder an Euch, an die Alten, an viele Einzelne von Euch aber auch an die Alten insgesamt in ganz verschiedenen Situationen. Wie geht es Euch, die ihr gegenwärtig als Risikogruppe gehandelt werdet, wo sich scheinbar alles um Euch dreht? Manche von Euch werden Angst haben. Manche sagen, bei uns hat sich nichts geändert, wir konnten vorher auch schon nicht mehr hinausgehen. Manche werden gelassen sein und sich denken, mein Leben ist eh in Gottes Hand. Manche von Euch werden sich ganz ungezwungen benehmen und erleben manche Maßnahmen eher mit Verwunderung. Eine Verkäuferin sagte mir neulich, dass die meisten Kunden Alte sind, die eigentlich zu Haus bleiben sollten. Ich denke jetzt aber auch an manche von Euch, die schwer zu leiden haben und dafür beten, dass der Herr sie bald abberuft. Mein Altpfarrer hat mir heute gesagt: „Pass gut auch Dich auf, wenn es dir gut geht, geht es mir auch gut!“ Nicht wenige von Euch werden in den letzten Tagen von den Jungen geschimpft worden sein, weil ihr in ihren Augen zu unvorsichtig seid!
Vor zwei Tagen habe ich einen der letzten lebenden Soldaten des II. Weltkrieges im Seniorenheim Mayrhofen angerufen, den Johann Egger (Wischberg Hansl). Besuche sind momentan ja nicht möglich. Als ich ihn das letzte Mal im Seniorenheim Perfuß besuchte hatte, war das für mich ein besonderes Erlebnis, einen schon 90-jährigen zu treffen, der vor Freude und Dankbarkeit fast überquillt. Der Hansl hat mir öfters vom Krieg erzählt, von seiner Verwundung, von dem Glück, zur Erschießung aufgestellt und doch davon gekommen zu sein (vor den Partisanen in Jugoslawien) usw. Viele dieser Erzählungen haben mir bewußt gemacht, wir großartig und überhaupt nicht selbstverständlich es ist, dass wir in Frieden leben dürfen. Bei Begräbnissen von Kriegern gebe ich immer eine Fürbitte dazu: Herr bewahre uns vor einem Krieg. In meinem täglichen Segen mit dem Allerheiligsten ist – mit Blickrichtung Süden – auch die Bitte um Verschonung vor dem Krieg enthalten (ab omne peste, fame et bello, von Pest, Hunger und Krieg) enthalten.
Also: Wie geht es Euch, wenn ihr jetzt auf einmal irgendwie ganz im Mittelpunkt seid? Drastische Maßnahmen, Ausgehverbote, das Zusperren vieler Betriebe und vieles mehr wird hauptsächlich damit begründet, dass es um unsere Alten geht, die wir jetzt schützen müssen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ihr alle das möchtet. Eine Nationalratsabgeordnete aus Wien, die sehr viel für den Lebensschutz eintritt und der ich die Sorge, dass wir durch zu radikale Maßnahmen (Lahmlegung des Großteils der Wirtschaft) vielleicht noch viel größere Übel und auch mehr Tote riskieren könnten, hat mich zur Vorsicht ermahnt und mir geschrieben, das wir Euch (die Alten) noch einige Jahre bei uns haben wollen.“ Wir wollen die Alten länger haben!“ Ich finde es großartig, dass sich junge Menschen um die Alten sorgen, da geschieht wirklich sehr viel. Schließlich ist es gar nicht lange her, dass die Alten von Greta und Co. regelrecht beschimpft und vernadert wurden. Hoffentlich wird man euch später nicht vorwerfen, man sei wegen Euch in eine Wirtschaftskrise geritten, in einen Börsenkrach, in soziale Unruhen etc. Ich finde es großartig, dass man vieles tut, um gerade jetzt für euch, die Alten da zu sein. Es ist auch schön, wenn die Jungen euch noch länger bei sich haben wollen.
Gleichzeitig denke ich aber darüber nach, warum diese Sorge in wesentlich bedrohlicheren Umständen nicht gesehen wird. Im Vorjahr wurde in Italien die aktive Sterbehilfe legalisiert, ein schauerliches Ereignis, ein Dammbruch, man wird künftig alte Menschen unter gewissen Umständen töten dürfen. Warum gab es da keinen lauten Aufschrei, keine Demonstrationen.
Heuer, ausgerechnet am Aschermittwoch, hat der Bundesverfassungsgerichtshof Deutschlands ein Gesetz über „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt. Ein älterer Bürger sagte dazu ganz einfach, jetzt geht’s wieder in eine Richtung, die wir schon einmal hatten, nämlich im Nationalsozialismus. Es gab darüber keinen heftigen Aufschrei. Im katholischen Österreich hat der ORF in einer Hauptnachrichtensendung dazu ausgerechnet den Abtreibungsarzt Fiala eingeladen, der „einfühlsam“ den Freitod seiner Schwester in der Schweiz schilderte. Er gehört einer Gruppe an, die sich für die „Entkrimminalisierung der Sterbehilfe“ einsetzt.
Da Eure Situationen sicher ganz verschieden sind, überlege ich mir, was ich euch am besten raten könnte. Zuvor aber noch eine Begebenheit, die zeigt wie verschieden Situationen aufgefasst werden können.
Ein Freund hat mir neulich folgende Episode erzählt. Eine große Firma mit vielen Arbeitern hat zugesperrt, weil der Chef mit seinem Führungsstab zu folgender Ansicht kam: Wir müssen zusperren, denn es geht jetzt um unsere Alten, die müssen wir schützen. Und so geschah es auch. Mein Freud hatte plötzlich eine notwendige Reparatur und ging zur Firma, um nachzusehen, ob vielleicht doch jemand da wäre, um die Reparatur vorzunehmen. Und wer war da? Ausgerechnet der Seniorchef, zu dessen Schutz die Firma die Arbeit eingestellt hatte, war da. Er hat mit der größten Selbstverständlichkeit unverzüglich die Reparatur in Angriff genommen und erledigt. Mein Freud dachte bei sich, ob der Seniorchef damit nicht möglicherweise genau das getan hat, was für ihn und die Firma jetzt am besten ist und er hat damit einen allgemeinen Beitrag zur Normalisierung und zur Entängstigung geleistet.
So, aber jetzt möchte ich euch einige Ratschläge geben, was ja nicht leicht ist, weil es so viele verschiedene Wahrnehmungsweisen gibt. Ich werds trotzdem versuchen.
– Seht wenig fern, und wenn, dann nichts, was nur den Geist betäubt oder die Panik schürt
– Seht nicht nur die Gefahr des Virus‘, sondern auch die Gefahr der Angstmache und der wirtschaftlichen und weiterer Folgewirkungen.
– Betrachtet Euer Leben nicht als etwas, das einmal zu Ende geht, sondern als Finale zum ewigen Leben, wie jemand, der das Größte vor sich hat und darauf zugeht. Eure wichtigste Sorge soll sein, dass ihr in den Himmel kommt.
– Versucht, nach dieser Erkenntnis so zu leben, dass die Jungen erkennen, dass es nicht darauf ankommt, wie lange man lebt, was man vom Leben hat, sondern dass man das Leben selbst ergreift, das der Beginn des ewigen Lebens ist.
– Damit ihr das könnt, ist das Gebet wichtig. Wenn ihr beten könnt, betet wirklich täglich einen Rosenkranz. Das ist nur ein Fünfzigstel der Zeit eines Tages und kann Euren ganzen Tag erhöhen, euch eine tiefere Sicht vom Leben und vom Ziel geben. Zugleich tut ihr damit vieles für Eure Jungen und überhaupt für unser Land und die Kirche. Wenn ihr nicht beten könnt, dann fangt es einfach an. Tut es einfach und ihr werdet schöne Erfahrungen machen.
– Wenn euch die Jungen schimpfen, weil ihr unbefangen mit der Situation umgeht, nehmt diese Belehrungen geduldig entgegen. Seid dankbar, dass sie sich um Euch sorgen und sagt ihnen vielleicht liebevoll: Wenn ihr um uns besorgt seid, dann nehmt vielleicht auch den einen oder anderen Rat an, damit ihr von unserer Lebenserfahrung profitieren könnt.
– Sagt den Jungen, wenn ihnen euer Leben kostbar ist, sie sollen nur Politiker wählen, die eindeutig und klar das Leben schützen und gegen Euthanasie und Abtreibung sind.
– Wenn ihr Gebrechen, Schmerzen oder verschieden Leiden zu ertragen habt, schaut jetzt besonders auf den leidenden Jesus. Verbindet Eure Leiden mit Seinem Leiden, schenkt sie IHM, dann könnt ihr sehr sehr viel bewirken!
Der selige Rupert Mayr hat ein wunderbares Gebet verfasst, dass für uns alle in dieser Zeit sehr passend sein kann.
Herr, wie Du willst,
soll mir gescheh’n
und wie Du willst,
so will ich geh’n;
hilf Deinen Willen
nur versteh’n!
Herr, wann Du willst,
dann ist es Zeit;
und wann Du willst,
bin ich bereit,
heut und in alle Ewigkeit.
Herr, was Du willst,
das nehm’ ich hin,
und was Du willst,
ist mir Gewinn;
genug, dass ich
Dein Eigen bin.
Herr, weil Du’s willst,
drum ist es gut;
und weil Du’s willst,
drum hab’ ich Mut.
Mein Herz in Deinen
Händen ruht.
(Seliger Rupert Mayer SJ)
Liebe Kinder und Enkel unserer Senioren! Da nicht alle selbst die Möglichkeit haben, dieses Schreiben auf unserer Homepage nachzulesen, bitte ich euch herzlich, es für sie zugänglich zu machen.
In Dankbarkeit und großer Achtung vor der älteren Generation
euer Dekan
Ignaz Steinwender